Reisebericht 2. Tag
Am zweiten Morgen waren wir
zunächst erschrocken darüber, dass das Abteil wieder wie ausgestorben war.
Außer unserem hustenden Nachbarn und Sergej der immer noch unseren Blicken
versuchte auszuweichen, waren alle zugestiegenen Personen in Laufe der letzten
Nacht wieder ausgestiegen. Diesen Morgen versuchten wir zunächst mit einem
Spaziergang und einer Malzeit im hiesigen Speisewagen zu beginnen. Dort
empfingen uns einer ältere Dame, die wohl in erster Linie für die Buchhaltung
und das Zählen der Einnahmen zuständig war und auch über das notwendige Sitzfleisch dafür verfügte, die Frau mit den Goldzähnen die
gerade dabei war ihren Wagenbestand zu füllen und ein jüngerer Mann der sich
gleich aufmachte uns mit der Speisekarte zu bedienen. Als Begrüßung bekamen wir
mit einem breiten Lächeln von der Dame mit dem "goldenen Lächeln" ein
freundliches "Heil Hitler" zu hören. Da wir davon ausgingen, dass sie
sich weder bewusst war, welcher Rolle selbiger im zweiten Weltkrieg spielte noch
welch Beleidigung diese Worte für uns darstellten, versuchten wir dies einfach
zu ignorieren.
Selbstverständlich konnte der
junge Mann weder Englisch und unser Russisch hielt sich auch eher in Grenzen.
So bestellten wir zunächst versehentlich Salat, was er wohl für ein weniger
sinnvolles Frühstück hielt und somit nach kurzer Zeit wieder an unseren Tisch
kam um eine neue Bestellung aufzunehmen. Es stellte sich heraus, dass die
Speisekarte wohl eher zum beeindrucken bestand und der Koch eher mit der
Zubereitung einer einzigen Speise vertraut war - Spiegelei und Toast ohne
Butter für umgerechnet fünf Euro. Nach dem Essen kam dann noch der Koch an
unseren Tisch und wollte von uns wissen was in Deutschland Autos der Marken
Mercedes und Volkswagen kosten, was wir ihm mit einzelnen gemalten Bildern auf
einem Stück Papier zu visualisieren versuchten. Ich glaube er hat schnell
begriffen, dass die Autos sich nicht in seiner Preisklasse befinden und
versuchte wiederum mit einem Lächeln und einem freundlichen "Hitler
kaputt" von der Diskussion abzulenken. Nach circa einer knappen Stunde
wurden wir per Handschlag und einem freundlichen "Faschist"
verabschiedet, was aber für unsere Seite auch ein Zeichen dafür war, den Wagen
nicht noch einmal zu betreten. Angesichts der fortlaufenden Dauer der Fahrt
spielte das aber ohnehin keine Rolle.
Zweiter längerer Halt in Cheljabinsk
Überpünktlich und nach ungefähr
1.900 Kilometern und circa 37 Stunden Fahrt erreichten wir unseren zweiten
großen Halt in Cheljabinsk. Dies stellte zugleich auch unseren letzten längeren
Halt vor den jeweiligen Grenzkontrollen dar und wurde daher ausgiebig für einen
Spaziergang am Gleis an der frischen Luft genutzt. Es bietet sich hierfür an,
sich im Abteil Klamotten zu Recht zu legen, die jederzeit spontan übergeworfen
werden können. Sofern alle Personen aussteigen wollen, kann die Abteilungsmama
gebeten werden das Abteil abzuschließen. Sie bewacht nicht nur den Einstieg,
vielmehr hat man auch das Gefühl, dass sie sehr wohl einen Überblick über die
jeweiligen Passagiere hat.
An größeren Bahnhöfen wird der
Zug mit ausreichend Kohle versorgt, was zur Folge hat, dass nach Abfahrt
großzügig geheizt wird und die ersten Stunden danach wiederum ohne T-Shirt
verbracht werden können. Am Bahnhof in Cheljabinsk mussten wir dann auch von einem
unserer Weggefährten Abschied nehmen. Auch wenn wir die letzten anderthalb Tage nur
Sichtkontakt hatten, wurden wir von Sergej am Gleis per Handschlag
verabschiedet. Es liegt die Vermutung nahe, dass er sich letzten Abend für
seine Ankunft geschont hatte. So bekamen wir auch abschließend seinen kleinen Sohn Gregory zu
Gesicht.
Am Bahnhof selber bietet sich nun
wieder die Gelegenheit ausführlich Proviant einzukaufen. Ich versuchte mich
dieses Mal mit einer Nudelterrine und war froh über das ein oder andere
Kaltgetränk. Nach 35 Minuten fuhr unser Zug wiederum überpünktlich weiter.
Da der Grenzübergang immer näher
rückt füllt die Abteilungsmama erstmalig eine Liste mit unseren Personaldaten
aus. Zusätzlich dazu verteilt sie Ein- bzw. Ausreisekarten die zwingend
aufgehoben werden müssen. Diese werden allerdings bei der Ausstellung der Visa
dem Personalausweis beigelegt, insofern ist dies nicht zwingend erforderlich.
Man könnte sich hier bereits von einer der beiden Karten trennen, was wir aber
aufgrund unserer Unwissenheit vermieden.
Abfertigung Grenze - russische Seite in Troisk
Der Grenzübergang von Russland
nach Kasachstan befindet sich zwischen den Städten Troisk und Kaerak nach ca.
2.200 Kilometer Strecke. Ab der Grenze sind es noch ungefähr 850 Kilometer bis
Astana. Auf der russischen Seite erfolgt zunächst die Ausreisekontrolle durch
russische Zollbeamte. Hierfür werden zunächst die Pässe von der Begleitung der
Abteilungsmama eingesammelt und den Beamten vorab zur Prüfung übergeben.
Daraufhin betreten Zollbeamte mit Taschenlampen und Spiegel unseren Waggon und
überprüfen die Decken, den Boden und die einzelnen Abteile. Wobei sie bei
letzterem sich eher oberflächlich einen Überblick verschafften. Daraufhin
betrat ein Zollbeamter unser Abteil und kontrollierte überaus freundlich
die einzelnen Pässe individuell. Für die Abfertigung sind laut Fahrplan 77
Minuten als Zeit eingeplant, welche zu unserer Überraschung wiederum mehr als
pünktlich eingehalten wurden.
Die Fahrt von Troisk nach Kaerak
war gekennzeichnet durch meterhohen Schnee an den Rändern der Gleise. So wurden wir zwischenzeitlich am
benachbarten Gleis von einer Lokomotive begleitet, die uns den Weg mit einer
riesigen Schnellschaufel als Nase bahnte. Es muss an dieser Stelle eigentlich
nicht gesondert erwähnt werden, dass wir im Abteil immer noch mit kurzen Hosen
unterwegs waren und die Wärme eher einer Zugfahrt durch Thailand glich. Ehrlich
gesagt wird einem selbiger Eindruck auch dadurch vermittelt, dass die kasachischen
Landsmänner und Frauen optisch stark mongolisch und chinesisch angehaucht sind.
Abfertigung Grenze - kasachische Seite in Kaerak
Die zweite Abfertigung erfolgte
direkt an Grenze knapp einen Kilometer vor der ersten kasachischen Stadt
Kaerak. Vorab kontrolliert die Abteilungsmama nochmal gründlich ob die von ihr
ausgeteilten Ein- und Ausreisekarten richtig befüllt wurden. Nicht nur hierbei
macht sich ein Hauch Nervosität bemerkbar. So konnten wir schon vor der ersten
Kontrolle durch den russischen Zoll feststellen, dass eine Vielzahl an
Gegenständen in Kartons und Taschen verpackt und in den leeren Abteilen
gebunkert wurden. Ob hierbei alles mit rechten Dingen zuging sei mal
dahingestellt.
Diesmal kamen drei kasachische
Beamte mit zwei Hunden in unseren Waggon, welche aber zunächst in einem benachbarten
Teil angebunden wurden und durch kontinuierliches Bellen auf sich aufmerksam
machten. Zunächst musste also davon ausgegangen werden, dass die Kontrollen
hier überaus unangenehm von Statten gehen, was aber absolut nicht der Fall war.
Zur Passkontrolle kam lediglich ein Beamter in unser Abteil und interessierte
sich überhaupt nicht für unser Proviant und unser Gepäck. Bestückt mit einem
Notebook kontrollierte er wiederum überfreundlich unsere Pässe und stempelte
erstmalig unsere Einreisekarte ab. Dieser Vorgang dauert pro Person circa zwei
Minuten.
Daraufhin fuhr der Zug nach circa
50 Minuten pünktlich wie gehabt in Kasachstan weiter und erreichte nach knapp
zwei Stunden den ersten großen Halt in Kustanay.
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